Das Loslassen
Der Umgang mit dem Sterben ist eine äußerst individuelle Erfahrung und es gibt keine "richtige" oder "falsche" Art, loszulassen. Jeder Mensch hat seine eigene Reise und seinen eigenen Weg, mit dem Sterbeprozess umzugehen. Dennoch gibt es Menschen, die schwerer loslassen können als andere. Die eigene Erfahrung in meinem familiären Umfeld hat mich zur Aufstellung der folgenden Hypothese gebracht und ich ich habe angefangen, darüber nachzuforschen:
„Traumatisierte Menschen haben während der Sterbephase Schwierigkeiten, loszulassen, da sie aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen eine verstärkte Tendenz zur Realitätsverzerrung und ein erhöhtes Kontrollbedürfnis aufweisen“.
Diese Hypothese basiert auf der Annahme, dass traumatische Ereignisse das psychologische Gleichgewicht einer Person beeinträchtigen können, indem sie Verzerrungen in der Wahrnehmung der Realität und verstärkte Bedürfnisse nach Kontrolle hervorrufen. Traumatisierte Menschen könnten daher dazu neigen, die Realität des Sterbens zu verleugnen oder zu verzerrt wahrzunehmen, um dem Schmerz und der Angst vor dem Kontrollverlust zu entkommen.
Verlust von Kontrolle
In der Sterbephase könnten traumatisierte Menschen Schwierigkeiten haben, loszulassen und sich dem Prozess des Sterbens hinzugeben. Diese Schwierigkeiten könnten auf das verstärkte Bedürfnis nach Kontrolle zurückzuführen sein, das traumatisierte Menschen oft entwickeln, um sich sicherer und stabiler zu fühlen. Traumatisierung geht häufig mit einem Verlust an Kontrolle oder einem Gefühl der Ohnmacht einher, was dazu führen kann, dass Betroffene dazu neigen, ihre Kontrolle verstärkt wahrzunehmen, selbst wenn die Realität des Sterbens unvermeidlich ist.
Die Idee der Kontrollillusionen und des verstärkten Kontrollbedürfnisses bei traumatisierten Menschen findet Unterstützung in der psychologischen Forschung. Studien zur Kontrollillusion zeigen, dass Menschen dazu neigen, in Zeiten der Unsicherheit oder Bedrohung Kontrollillusionen zu entwickeln, um sich sicherer zu fühlen. Traumatisierte Personen erleben diese Illusionen besonders stark, da Traumatisierung oft mit einem Gefühl der Hilflosigkeit einhergeht.
Experimentelle Studien haben gezeigt, dass traumatisierte Menschen empfindlicher auf Situationen reagieren, in denen sie das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren. Dies deutet darauf hin, dass Traumatisierung die Sensibilität für Kontrollverlust erhöht und dazu führt, dass traumatisierte Menschen stärker auf Kontrollillusionen zurückgreifen.
Verleugnung und Realitätsverzerrung
In der Sterbephase können Realitätsverzerrung und Verleugnung auftreten. Traumatisierte Menschen könnten Schwierigkeiten haben, die Realität ihres eigenen Sterbens anzuerkennen oder zu akzeptieren, aus Angst vor einem weiteren Kontrollverlust. Oftmals hoffen Sie auch unrealistisch, dass sich ihr Zustand verbessern wird, um dem Schmerz und der Angst vor dem Loslassen zu entkommen.
Schließlich könnten traumatisierte Menschen in der Sterbephase Flashbacks oder Wiedererleben von traumatischen Ereignissen erleben, was zu einer Verzerrung der Wahrnehmung der aktuellen Realität führen könnte. Diese Erfahrungen könnten das Bedürfnis verstärken, sich von der aktuellen Situation zu distanzieren oder sich in einer anderen Realität zu verlieren, um dem Schmerz und der Angst vor dem Sterben zu entkommen.
Den individuellen Bedürfnissen gerecht werden
Insgesamt verdeutlichen diese Erkenntnisse, dass traumatisierte Menschen in der Sterbephase oft ein verstärktes Bedürfnis nach Kontrolle und eine Tendenz zur Realitätsverzerrung oder Verleugnung aufweisen können. Es ist wichtig, diese Aspekte zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren, um den individuellen Bedürfnissen und dem Wohlbefinden dieser Personen gerecht zu werden.
Eine angemessene Reaktion auf das verstärkte Bedürfnis nach Kontrolle und die Tendenz zur Realitätsverzerrung oder Verleugnung bei traumatisierten Menschen in der Sterbephase erfordert ein einfühlsames Herangehen.
Empathische Unterstützung: Es ist wichtig, eine einfühlsame und unterstützende Atmosphäre zu schaffen, in der sich traumatisierte Menschen in der Sterbephase sicher fühlen können. Das bedeutet, ihnen Raum zu geben, um über ihre Ängste, Sorgen und Hoffnungen zu sprechen, ohne Urteile zu fällen oder ihre Erfahrungen zu bagatellisieren.
Validierung ihrer Gefühle: Es ist besonders wichtig, die Gefühle und Erfahrungen traumatisierter Menschen in der Sterbephase zu validieren und anzuerkennen, anstatt sie zu leugnen oder zu bagatellisieren. Indem man ihre Gefühle anerkennt und akzeptiert, kann man ein unterstützendes Umfeld schaffen, das dazu beiträgt, ihr emotionales Wohlbefinden zu stärken.
Empowerment-Techniken: Empowerment-Techniken können traumatisierten Menschen dabei helfen, ein Gefühl der Kontrolle über ihre Situation zu erlangen, ohne dass es zu einer Realitätsverzerrung oder Verleugnung kommt. Dies kann durch die Förderung von Selbstwirksamkeit, die Stärkung ihrer individuellen Ressourcen und die Entwicklung von Bewältigungsstrategien geschehen.
Bereitstellung von Informationen: Transparente und offene Kommunikation über den Sterbeprozess und die verfügbaren Unterstützungsmöglichkeiten kann dazu beitragen, Ängste zu reduzieren und das Gefühl der Kontrolle zu stärken.
Einbeziehung des sozialen Umfelds: Die Einbeziehung von Familienmitgliedern, Freunden und anderen Unterstützungspersonen kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Wohlbefinden traumatisierter Menschen in der Sterbephase zu fördern. Durch die Schaffung eines unterstützenden Netzwerks können traumatisierte Menschen sich weniger isoliert fühlen und mehr emotionale Unterstützung erhalten.
Berücksichtigung individueller Bedürfnisse: Es ist wichtig, die individuellen Bedürfnisse und Präferenzen jedes traumatisierten Menschen zu berücksichtigen und maßgeschneiderte Unterstützung anzubieten. Jeder Mensch hat unterschiedliche Bewältigungsstrategien und Bedürfnisse, daher ist es wichtig, flexibel zu sein und eine individualisierte Herangehensweise zu verfolgen.
Um diese Hypothese zu testen, könnte eine empirische Studie durchgeführt werden, die traumatisierte und nicht-traumatisierte Menschen in der Sterbephase vergleicht. Dabei könnten verschiedene psychologische Maße wie Realitätsverzerrung, Kontrollbedürfnis, Akzeptanz des Sterbens und psychisches Wohlbefinden erhoben werden. Durch die Untersuchung dieser Variablen könnte die Hypothese auf ihre Gültigkeit und die möglichen Mechanismen, die diesem Zusammenhang zugrunde liegen, überprüft werden.
Mögen diese Erkenntnisse die Menschen frühzeitig auf den Weg zur Selbstreflexion und Achtsamkeit bringen und dazu ermutigen, sich rechtzeitig psychologische Unterstützung zu suchen, damit wochenlanges Leiden reduziert werden kann.